Geboren 1978 in der heute ukrainischen Stadt Brody, begann Oksana Lyniv 1992 ein Flöten- und Dirigier-Vorstudium in Lemberg und studierte anschließend ebendort Dirigieren. Nachdem sie den dritten Platz beim Gustav-Mahler-Dirigentenwettbewerb der Bamberger Symphoniker belegt hatte, war sie ab 2005 Assistentin des Dirigenten Jonathan Nott. Es folgte ein Aufbaustudium an der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“. Von 2013 bis 2017 ging sie als Assistentin von Kirill Petrenko nach München an die Bayerische Staatsoper, anschließend folgte sie auf Dirk Kaftan als Chefdirigentin der Grazer Oper und des Grazer Philharmonischen Orchesters. Neben ihrer Tätigkeit als Dirigentin gründete sie im August 2017 das internationale Kulturfest LvivMozArt in Lemberg, dessen künstlerische Leitung sie seitdem innehat.
Oksana Lyniv versteht sich als Botschafterin zwischen den mittel- und osteuropäischen Kulturen. Nach dem Vorbild des Bundesjugendorchesters gründete sie das Ukrainische Jugendsymphonieorchester, mit dem sie bereits im Konzerthaus Berlin und bei den Speinsharter Sommerkonzerten gastierte. Als Gründerin und künstlerische Leiterin des Festivals LvivMozArt wiederum, das in kürzester Zeit zum größten Festival klassischer Musik der Ukraine wurde, propagiert Lyniv neben Leopold und Wolfgang Amadeus auch dessen Sohn Franz Xaver Mozart, der als Dirigent, Chorleiter und Lehrer das Musikleben Lembergs im frühen 19. Jahrhundert prägte. Zu den Raritäten bei LvivMozArt gehörte 2018 zum Beispiel die von Oksana Lyniv im Hof der Burg Swirsch geleitete Oper „Alcide“ von Dmitri Bortniansky.
Mangelnde Entdeckungsfreude kann man ihr, die 2019 im Theater an der Wien mit Tschaikowskys „Die Jungfrau von Orléans“ großen Erfolg hatte, also nicht nachsagen. Bei Konzerten mit der Staatskapelle Berlin im Boulez-Saal, dem Jugendsinfonieorchester der Ukraine und dem Philharmonischen Orchester der Stadt Graz dirigiert sie regelmäßig Werke ukrainischer Komponisten wie Boris Lyatoshinsky, Vitaliy Hubarenko, Mykola Kolessa und Yevhen Stankovych. Das eher konservative Grazer Publikum begeisterte sie auch für Karol Szymanowski. Im Gegenzug setzte sie die zweite Sinfonie von Leonard Bernstein auf das Programm eines großen Gedenkkonzerts für den Schriftsteller Joseph Roth, das sie in der Ruine einer zerbombten Synagoge in ihrer Geburtsstadt Brody leitete.
Zielstrebigkeit und Engagement für die im Westen weitgehend unbekannte Kultur ihres Heimatlands stellt Oksana Lyniv immer in den Dienst der Musik. Sie freut sich über die von ihr angeregten Transfers zwischen Mitteleuropa und der Ukraine. Mit was für einem gewinnenden Einklang von Durchsetzungsstärke und Fraulichkeit sie zu eindringlichen Ergebnissen gelangt, beweist sie inzwischen von Barcelona bis Lemberg.
©Roland H. Dippel
Kreuzkirche Chemnitz, Henriettenstraße 36, 09112 Chemnitz,
Freitag, 20. Mai 2022 – 19.30 Uhr